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19.10.2018 | Blog Bleiben wir schlauer als die Roboter?

Kann Künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz ersetzen? Neurowissenschaftler Dr. Boris Nikolai Konrad erklärt, worin KI uns überlegen ist, wo sie an ihre Grenzen stößt und wie wir von ihr lernen können.
Künstliche Intelligenz gegen menschliche Intelligenz

Wie zufrieden sind Sie eigentlich mit Ihrer Intelligenz? Oder anders gefragt: Wenn Roboter künftig sowieso um ein Vielfaches schlauer sind als wir alle, ist das dann nicht fast egal? Wenn man den schnellen Fortschritt der Forschung im Bereich Künstliche Intelligenz betrachtet, kann man schon einmal nachdenklich werden. Werden Roboter schon bald die Menschheit beherrschen? Bin ich bald überflüssig?

Nun, ganz so einfach und dramatisch ist es nicht. Interessant in diesem Zusammenhang ist jedoch das Ranking der größten Gefahren für die Existenz der Menschheit, das führende Forscher der Uni Oxford seit vielen Jahren aufstellen: Ein atomarer Weltkrieg war lange ganz oben, fiel dann ab – seit der Präsidentschaft von Donald Trump klettert er wieder gewaltig. Nummer eins, das größte Risiko für die Menschheit laut den Endzeitforschern ist aktuell aber etwas ganz anderes: Künstliche Intelligenz.

Ich sehe das etwas anders. Aber klar ist, lange bevor KI unsere Existenz bedroht, wird KI unsere Welt bereits viel stärker verändern als es Digitalisierung schon lange tut – und hat damit längst begonnen. Das rechtfertigt dann doch einen zweiten oder dritten Blick. Je nachdem wie alt Sie sind, vielleicht auch schon den achten oder zehnten. KI ist kein neues Thema. Es scheint eher in Wellen aufzutauchen und wieder zu verschwinden.

Also alles nur ein Hype? Auch das stimmt so nicht. Was diesmal anders ist, lässt sich am Brettspiel Go zeigen. Vielleicht kennen Sie es, vor allem in Asien ist es populär und ein professioneller Sport. Es hat nur zwei Steine und ist doch viel komplexer als Schach. Noch vor wenigen Jahren sagte Christian Bauckhage, seines Zeichens Experte für künstliche Intelligenz, dass er nicht sicher ist, dass zu seinen Lebzeiten Computer die besten menschlichen Spieler werden schlagen können. Dann kam der Auftritt von Demis Hassabis. Der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.

Genauer gesagt hat das die von Hassabis entwickelte KI gemacht. Das Programm AlphaGo trat 2015 gegen den besten europäischen Go-Spieler an und gewann. Aber das wurde noch belächelt, da die asiatischen Spieler um ein Vielfaches besser sind. Den besten Europäer schlagen war wie im Fußball gegen Holland gewinnen: ganz nett. Die Spielleistung war aber nicht überragend. 2016 waren die Go-Profis daher noch optimistisch, als der Computer gegen den Go-Weltmeister Lee Sedol antrat. Der Computer gewann 4 : 1.

Was war passiert? Wie kann selbst ein KI-Experte so daneben liegen? Statt Züge mit mathematischen Algorithmen vorauszuberechnen, waren hier neuronale Netze im Einsatz. Dabei handelt es sich um Computer-Netzwerke, welche die Funktionsweise von Neuronen im Gehirn simulieren und selbst erlernen. Auch die sind nicht sonderlich neu, aber durch die rasante Entwicklung der Rechenleistung und verfügbaren Daten haben sie inzwischen ganz andere Möglichkeiten erreicht. Diese Entwicklung verläuft exponentiell. Das ist etwas, das wir als Menschen nicht begreifen können. Selbst wenn wir es wissen, schätzen wir doch immer daneben.

Wenn Sie mit 18 Jahren genau einen Euro verdienen und sich dann vornehmen, jedes Jahr Ihr Gehalt zu verdoppeln – dann werden Sie mit 30 Jahren von Ihren 2048 Euro Jahreseinkommen noch immer bei Mama wohnen. Zum Renteneintritt aber würden Sie 140 Billionen Euro verdienen. Dies entspricht etwa der jährlichen Weltwirtschaftsleistung.

Genau nach solch einer Kurve entwickelt sich die Computerleistung seit Jahren. Nach dem viel zitierten Moore’schen Gesetz verdoppelt sich die Rechenleistung alle ein bis zwei Jahre.

Zugleich nimmt die Datenmenge rasant zu. Neuronale Netzwerke lernen meist mit Ausgangsdaten. AlphaGo etwa lernte von einer Datenbank, in der mehrere Millionen Spiele von Menschen gespeichert waren. Danach spielte das Programm immer wieder gegen sich selbst. Dabei passierten dann die wirklich spannenden Dinge. Die KI probierte auch mal etwas aus. Entdeckte dabei Züge, die kein Mensch machen würde.

Tatsächlich wurden die Go-Spiele der KI gegen den Weltmeister live übertragen und kommentiert und die Experten wähnten anfangs Fehler beim Computer gefunden zu haben. Genau diese Züge waren es aber, die später den Sieg brachten. Wie holte Weltmeister Lee Sedol seinen Ehrenpunkt? In nur drei Spielen konnte Lee die Strategie der KI erkennen und sein Spiel anpassen. Wo der Rechner noch immer zig Millionen von Wiederholungen braucht, kann der Mensch in drei Spielen dazu lernen. Das ist noch immer ein wesentlicher Unterschied. AlphaGo gibt es seit Ende 2017 in einer neuen Variante. Die ist noch stärker – und hat nie mit menschlichen Datenbanken gelernt, sondern von Beginn an durch Trial and Error – Ausprobieren und Lernen. Und zwar Millionen Mal.

Daran zeigt sich auch, was KI inzwischen alles kann – aber auch, was noch nicht. Bei allen Vorhersageproblemen schneidet sie extrem gut ab. „Predictive Enterprises“ ist ein anderes Buzzword zu dem Thema. Firmen, deren KI die Zukunft vorhersagen kann und die daher ihre Konkurrenten ausstechen. Oder emotionaler: KI, die Leben retten wird.

Ja, tatsächlich. Ob uns künstliche Intelligenz irgendwann bedrohen wird, lässt sich im Moment noch schwer vorhersagen. Sicher ist aber: Schon heute rettet sie Leben und in Zukunft noch viel mehr. Mit Apps etwa, die anhand von Handyfotos von Muttermalen besser vorhersagen können, wer Hautkrebs bekommt als Hautärzte. Oder Programme, die Aufnahmen vom Gehirn auswerten und sagen, welche Behandlung am erfolgversprechendsten ist, um etwa Tumore, Demenz oder Depression zu behandeln. Bald schon werden sie statt zur Behandlung zur Prävention eingesetzt werden. Also ich persönlich würde diese Vorteile nutzen wollen! Das ist keine Science Fiction, sondern heute, cutting edge“ – an den Unis, in Forschungsabteilungen und bei Start-ups in Entwicklung. Sprich: schon relativ bald im Masseneinsatz.

Auch hier gilt: Wir Menschen können von KI lernen. Warum sagt die App, dieses Muttermal ist verdächtig, der Arzt aber nicht? Das wiederum können wir erkennen und in Zukunft Medizinstudenten entsprechend ausbilden. Unser Gehirn ist qua Evolution nicht an Technologie angepasst. Kann es auch gar nicht. Evolution dauert zahlreiche Generationen. Meine Großmutter wurde 1925 geboren und lebt zum Glück noch. 2017 wurde meine Tochter geboren. 1925 wurde auch das Schwarz-Weiß-Fernsehen erfunden. Von diesem Zeitpunkt bis zur KI ist noch nicht einmal ein menschliches Leben vergangen. Was wird passiert sein, wenn meine Tochter 90 wird? Zugleich lernt das Gehirn meiner Tochter in ihren ersten Jahren eine ganz andere Welt kennen und wird sich entsprechend entwickeln. Unser Gehirn hat diese enorme Lernfähigkeit, an die KI noch nicht herankommt und meiner Meinung nach auch noch einige Zeit nicht herankommen kann.

Das heißt leider nicht automatisch, dass es Ihren Job oder Ihre Firma in einigen Jahren noch geben wird. Das wird nur so sein, wenn Sie KI nutzen und zugleich von ihr lernen.

Entscheidend ist: Wir wiederum können von der KI lernen. Das müssen wir auch tun, sonst haben wir verloren. Wer aber dazu bereit ist, wird an den Entwicklungen Freude haben und in vielerlei Hinsicht davon profitieren.   

Der Autor

Dr. Boris Nikolai Konrad
Neurowissenschaftler & Gedächtnistrainer
Der Gedächtnistrainer hat zu seinem Thema eine Expertise wie kein Zweiter. Als erfolgreicher Gedächtnissportler hält er selbst vier Guinness-Weltrekorde, als Wissenschaftler erforscht er Gedächtnisspitzenleistungen und als Redner vermittelt er seit Jahren die besten Gedächtnistechniken.
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Dr. Boris Nikolai Konrad